Dienstag, 29. September 2009

Chanel mit Klettverschlüssen

Nach einer Woche ist das neue Kleid der Alten Dame nun also eingetragen, und es gefällt in dem Sinne, dass es keinen besonderen Widerstand bietet. Die Ecken und Kanten und die ungewöhnliche visuelle Sprache der "alten" NZZ sind Vergangenheit, wir haben jetzt ein süffiges Mainstream Premium Produkt - wohl genauso wie es beabsichtigt war. Ein sicher nicht unwillkommener Nebeneffekt in der Gesamtrechnung der "luftigen" Gestaltung ist, dass die gleiche Nutzlast (i.e. Inserate) mit etwa einem Fünftel weniger redaktioneller Substanz getragen werden kann. Solange der Leser nichts merkt ...

Ein paar Kritikpunkte seien aber trotzdem angebracht, der schwerwiegendste zuerst: Ein rein digitales Bezahlabonnement à la WSJ oder Economist fehlt nach wie vor. Ich will kein Papier mehr bezahlen.

Alles andere ist eigentlich schon Nebensache: Die Beschränkung auf drei Bünde ist gut, auch wenn sich Sport und Zürich so nicht mehr mit einem einzigen Handgriff eliminieren lassen. Dafür ist die Handhabung des nach wie vor umständlichen Formats etwas erleichtert. Wozu der Kursteil im Stil eines Reuters-Terminals noch dienen soll, wäre rätselhaft, wäre da nicht die besagte Nutzlast, die kaum neben das Feuilleton passt...

Wie weit die Konvergenz der beiden national-deutschsprachigen Zeitungen schon fortgeschritten ist, wollen wir nach Begutachtung der anderen Zeitung für die Schweiz (ob und wie sich dieser neue claim auf die politische Positionierung der NZZ auswirken wird, bleibt abzuwarten) sehen, des heute in neuer Gestaltung erschienenen Tagesanzeigers.

Mittwoch, 23. September 2009

Faszinosum NZZ

Dieses Logbuch hat eine lange Genese durchlaufen. Der eigentliche Entscheid zu seiner Realisierung ist gefallen, nachdem der Autor von der eben erfolgten Neugestaltung der NZZ erfahren hat. Im Schatten des neuen Kleids der Alten Tante geht nun der NZZmonitor an's Netz. Das neue Kleid ist aber nicht Auslöser noch Ursache, sondern allenfalls Vorwand. Denn der Zweck der Übung ist eine nüchterne, ausgedehnte Kosten / Nutzen-Abwägung.

Der Autor hat mit der NZZ seine intellektuelle Sozialisation erfahren. Und dennoch - oder gerade deshalb? - fragt er sich anlässlich der kürzlich fällig gewordenen Abonnementsrechnung, ob der Abonnementspreis mit fast CHF 500 heute noch gerechtfertigt ist. Es würde nicht wundern, wenn die Kosten für physische Produktion und Verteilung des täglichen Zellstoffbündels mehr als die Hälfte des Preises ausmachten, ohne dass dem ein Kundennutzen gegenübersteht. Im Gegenteil: Der Autor ärgert sich bei der Lektüre regelmässig über das unhandliche Format, und später über die Notwendigkeit der Entsorgung.

Die Tagespresse steht im Auge zweier Orkane. Der eine, vorübergehende, ist die laufende Wirtschaftsschwäche. Viel wichtiger allerdings ist die existentielle Krise des Geschäftsmodells angesichts des Internets. Eine Zeitung ist in ihrem Wesen ein immaterielles Gut und als solches vollständig digital reproduzierbar.

Digital reproduzierbare Inhalte werden aber unweigerlich entmaterialisiert - die Musikindustrie könnte ein Lied davon singen. Die Tagespresse hingegen hat erst mit dem Lernprozess begonnen und kann sich noch nicht von der Haptik des Papiers lösen. Im Vergleich zum Internet ist Papier als Medium jedoch in fast jeder Hinsicht unterlegen: es ist um Grössenordnungen teurer & schwerfälliger in der Produktion, es beschränkt die Inhalte, es gibt feste Produktionsrhythmen vor und ist nicht interaktiv. Zudem ist die gezielte Suche nach früheren Inhalten aufwendig.

Diese Situation ist für die gesamte Tagespresse virulent, vermutlich sogar für alle Druckerzeugnisse. Für die NZZ ist die Lage aber besonders kritisch, denn sie hat ein einzigartiges Produkt zu schützen. Ein Bündel von Eigenschaften zeichnet die NZZ gegenüber anderen Tageszeitungen aus: Sie ist redaktionell unabhängig, hat eine bekannte politische Position, sie pflegt einen wohltuend unaufgeregten Stil, ist der Qualität journalistischen Handwerks verpflichtet und geht last, but not least sorgfältig mit der Sprache um. All das macht sie aus, aber keines dieser Attribute klebt nota bene am Papier.

Wie reagiert die Führung der NZZ auf die existentielle Krise ihres Geschäftsmodells? Sie präsentiert uns heute alten Wein in runderneuerten Schläuchen. Es wurde ein CEO-Modell zwecks Kostenreduktion eingeführt. Redaktionelle Kapazität wird abgebaut, es werden Kompromisse bei der inhaltlichen Qualität gemacht, u.a. indem gelegentlich Inhalte aus der verwandten angelsächsischen Presse (Financial Times, Wall Street Journal, Economist) abgewandelt rezykliert werden. Solches und ähnliches während der neuen Abonnementsperiode möglichst umfassend zu dokumentieren ist Aufgabe des NZZmonitors. Kommentare und Beiträge weiterer Monitore sind übrigens hoch willkommen!

Mit der diagnostizierten Bewegung in Richtung mainstream wird allerdings Raubbau an der Marke NZZ betrieben, ohne dass mit einer nachvollziehbaren strategischen Neupositionierung experimentiert wird, durch die eine nachhaltige Erfolgsposition in Formen, Inhalten und Geschäftsmodell entdeckt werden könnte. Oder anders ausgedrückt: die unverändert beibehaltene Verhaftung am Papier als strategischem Trägermedium ist das grösste und wagnisreichste Experiment in der 230-jährigen, stolzen Geschichte der NZZ. Keiner weiss, wie die Tageszeitung der Zukunft aussehen wird, nur eins ist ziemlich klar: Sie wird sich stark von der heute üblichen Form unterscheiden. Wir wünschen der Alten Tante alles Gute und beobachten sie aufmerksam.